Die afrikanischen Westküste

An der afrikanischen Westküste, jenseits des Äquators, liegt zwischen dem Kunene-Fluss im Norden und dem Oranje-River im Süden die Nebelküste Namibias. 1500 Kilometer sonnendurchglühte Sand- und Geröllwüste treffen auf das kalte Wasser des Benguelastroms.

Der Sturm flaut ab. Wir passieren Cape Cross, fahren mit halber Kraft gegen die hohe Dünung, Kurs Walvis Bay. Captain Nicholson nimmt zum Frühstück einen Schluck aus der Flasche:
»Tullamore Due«, der Tau vom Tullamoor.
»Rare old stuff!« Er zeigt rüber zur Küste:
»Listen mate ...!«
Die schwarzen Käfer in der Nebelwüste müssten sich ebenfalls von Tautropfen ernähren. Dafür würden die sich sogar auf den Kopf stellen! Er will sich noch ein paar Stunden hinlegen, nach der aufregenden Nacht. Ich soll die Nase in den Wind drehen, sobald der »Südwester« losgeht. Captain Nicholson ist kein Freund der Stürme. Er wirft die leere Flasche ins Meer und torkelt zufrieden unter Deck.

Über uns strahlt die Sonne. Im Osten ist alles milchig weiß. Mama Afrika versteckt sich unter dem Leichentuch der Skelettküste. Die »skeleton-coast« trägt ihren Namen zu Recht. An endlosen Stränden liegen die Reste von Wracks und ausgebleichte Knochen. Kopflose Skelette toter Seeleute, die sich beim Untergang ihrer Frachter vor dem Ertrinken retten konnten, um dann an Land zu verdursten, zwischen den Knochenhaufen verendeter Robben und Wale. Die einzigen Lebewesen am Strand sind Schabracken-Schakale und Geisterkrabben, auf ihrer rastlosen Suche nach Aas. Der Südwester sorgt regelmäßig für Nachschub. Plötzliche Stürme, tückische Riffe und unberechenbare Strömungen geben den Booten das letzte Geleit. Die Skelettküste Namibias ist der größte Schiffsfriedhof der Welt.

Am Nachmittag erreicht die »Sampson Service« Walvis Bay. Der Hafen liegt verlassen im Wind. Kein Schiff weit und breit. Im Topp weht die Flagge Südafrikas. Wir passieren Pelikan Point und gehen längsseits. Das Wasser in der Bucht ist aufgewühlt. Flamingos landen auf unserem Achterdeck. An der Pier steht ein dicker Namibianer mit Pudelmütze. Die Hände stecken tief in den Taschen seines Anoraks. Er schaut mich entgeistert an, die blutverschmierten Lumpen, die langen Haare und hinter mir das Chaos an Deck. Er sagt nichts, urteilt nur mit den Augen.

Ich versuche zu erklären, dass es vom Krieg kommt, vom Hunger. Die Schlagseite, der Dreck. Hat alles seine Gründe. Keine Leute. Die Mannschaft ist in Angola geblieben, der Backbordpropeller im Kongostrom. Ich blicke ihm vorwurfsvoll in die Augen:
»Die Menschen brauchen Öl!«
Ohne unsere schmutzige Arbeit könnte er nicht so sauber daherkommen, in seinem Kunstfaseranorak. Ohne das Ölgeschäft würde die Welt nicht funktionieren. Er möchte das bitte verstehen. Mir ist kalt. Der frische Wind erinnert an die Nordsee.

Dem Afrikaner ist genauso kalt. Er holt eine dicke Orange aus seiner Anoraktasche und reicht sie mir über die Reling. Er sei hier der verantwortliche Beauftragte für den Schutz der wilden Tiere. In der gesamten Walfisch-Bucht. Es sei seine Pflicht, mich über die Regeln zu informieren. Wir teilen uns die Apfelsine. Er zieht ein kleines Gesetzbuch aus der Windjacke. Falls ich es ihm nicht glauben sollte. Es sei verboten Pelikane zu fangen, und Flamingos. Das habe alles seine Gründe. Er zeigt auf das Buch, droht grinsend mit dem Zeigefinger. Ich solle gut aufpassen:
»Pass opp!«
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