Intro

Raphael Rabenherz

50 Bilder und Textausschnitte,
als Vorveröffentlichung aus dem Buch:

Der Blues der Bücher


Eine Seefahrtgeschichte aus den 70er Jahren.
Erlebt, gemalt und erzählt von Raphael Rabenherz





Die Geschichte

Am 27. Oktober 1976 verlässt die »Golden Harvest« Portsmouth in England Richtung Süden. An Bord befindet sich eine gemischte, multinationale Crew junger Idealisten, die im Rahmen der »Operation Namibia«, einer gewaltfreien Direktaktion, 7000 verbotene Bücher nach Walvis Bay versegeln wollen, mit dem Ziel, die dort herrschende Zensur zu unterlaufen, sowie die menschenverachtende Rassentrennungspolitik (Apartheid) Südafrikas anzuprangern und bloßzustellen. Bücher gelten als Symbol für »Wahrheit«. Das, was die Mächtigen am meisten fürchten. Durch Bildung soll den unterdrückten Völkern die Emanzipation ermöglicht werden. Eine gewaltfreie Revolution. Der Transport auf einem zerbrechlichen Segelschiff unterstreicht die friedliche Absicht. »Peace & Love«. Dennoch geht es um alles oder nichts.
Auf jedes verbotene Buch stehen bis zu fünf Jahre Gefängnis.

Das Projekt erfährt zunächst globale Beachtung. Es kommt zu Solidaritätskampagnen und Warenboykotts. Materiell hilft die weltweite Quäker-Gemeinde, die auch viele der ersten Greenpeace-Aktivisten stellt. In den USA, England, Holland, Belgien, Frankreich, Dänemark, Norwegen, Japan, Neu Seeland und Australien sind Unterstützergruppen im Einsatz. Politische Buchläden und Universitäten spenden Bücher.
Joan Baez gibt Benefiz Konzerte in London.

Die Reise soll fünf bis sechs Wochen dauern, doch die Fahrt entlang der westafrikanischen Küste steht unter einem dunklen Stern. Die alte Maschine erweist sich als unbrauchbar. Ständige Reparaturen erzwingen längere Liegezeiten. Dann läuft der Kutter auf ein Riff. Operation Namibia erreicht mit gebrochenem Kiel den Hafen von Banjul in the Gambia. Dort baut die Crew das Schiff zum Zweimastschoner um. Die Regenzeit setzt ein.
Aus Wochen werden Monate und schließlich Jahre.

Die Golden Harvest segelt weiter nach Liberia und Ghana. Der Schuldenberg wächst. Das Schiff verschlingt die Kraft der Besatzung. Hunger und Krankheit tun ein Übriges. Die politische Aktion gerät mehr und mehr in den Hintergrund. Es gibt nur noch wenig Resonanz in der Presse.
Im »Windhoek Advertiser« fragt man sich: »Käuze oder mondsüchtige Idealisten?« Der BBC London Afrika Dienst spricht vom
»schwimmenden Fiasko des Jahrzehnts«.

Im Herbst 1978 entdeckt der Autor den Schoner in Lagos/Nigeria. Er schließt sich begeistert dem Bücherprojekt an. Hier beginnt sein Bericht. Die dramatische Chronik eines der letzten großen Abenteuer in der Historie der Segelschiffe und des gedruckten Buches.  Die Aktion endet tragisch auf dem Ogowe, Albert Schweitzers Schicksalsstrom. Der Blues der Bücher ist die liebevoll erzählte Geschichte vom prosaischen Ende einer poetischen Idee.
Ein echtes Zeitdokument der 70er Jahre.


Die 70er Jahre

Die 70er Jahre - Eine Zeit der Umstürze und des Aufbegehrens. Mit der Nelkenrevolution in Portugal endet die Ära des Kolonialismus. In den USA fordern die Nachfahren der ehemaligen Sklaven ihre Bürgerrechte ein. In Angola tobt der Befreiungskampf. In Südafrika brennt Soweto. In Deutschland verbeißt sich die RAF mit den Staatsorganen. Palästinenser kapern Flugzeuge. Die sexuelle Revolution führt zu neuen Arten des Zusammenlebens. Die Bildungsreform zu vollen Hörsälen. Hippies erscheinen in den neu eingerichteten Fußgängerzonen der Städte. Die Welt wird zunehmend bunter und lauter, doch der Schein trügt.

Das »Modell Deutschland« mit Gesinnungsschnüffelei und Berufsverboten entwickelt sich in Richtung Polizeistaat. Die »Volksschädlinge« von einst heißen nun »Verfassungsfeinde«. Überfälle der Exekutive auf politische Buchläden nehmen zu. Es herrscht Krieg im Namen der Verfassung. Das Grundgesetz gilt als heilige Schrift, mit dem Nimbus der Unfehlbarkeit. Sympathie mit Andersdenkenden wird verboten. Selbst klammheimliche Freude. Kritik an der »freiheitlich demokratischen Grundordnung« führt schnell zum Autodafé. Es ist eine bleierne Zeit voller Angst und Gewalt. Das Duckmäusertum grassiert, die Schere im Kopf. Lange Haare werden zum Politikum.

Weltweit verlassen viele Jugendliche als verlorene Söhne und Töchter
ihre Heimatländer, auf der Suche nach alternativen Lebensweisen.
So mancher geht vor die Hunde. Die meisten kehren früher oder später zurück, um das Erbe der Väter anzutreten. Nur wenige bleiben ihren Idealen treu. Von einer Handvoll dieser Helden, sowie ihrem Traum, die Welt durch Verbreitung von Literatur zu verändern, erzählt die Geschichte
»Der Blues der Bücher«.


Der Autor

Raphael Rabenherz wurde 1957 in Clausthal-Zellerfeld geboren. Im Herbst 1977 verließ er Deutschland und fuhr fünf Jahre lang auf verschiedenen Schiffen zur See. Nach der Rückkehr begann er zu schreiben, studierte Philosophie in Braunschweig, machte Zivildienst auf einer Sterbestation und entdeckte seine künstlerischen Talente. Heute lebt er als freischaffender Maler und Autor in der documenta Stadt Kassel.
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