Libreville Teil 8
Der Tiefpunkt der Ebbe war erreicht. Wir gönnten uns eine kurze Pause. Morishda stellte den Herd ab und füllte neue Teerbrocken in den Topf, für die zweite Schicht.

Als nächstes wurde von oben nach unten die teure Antifouling Farbe als Grundierung aufgetragen. Eine Stunde später die Endlackierung in Schwarz. Diesmal von unten nach oben. Immer zwanzig Zentimeter über der ansteigenden Wasserlinie. Zwischendurch schaute ich regelmäßig zum Strand. Kris fotografierte. Hans und Roy standen bewegungslos im Schatten unter den Palmen.

Nach Sonnenuntergang blieb ich eine Weile am Ufer, um Momo und Elise aus dem Weg zu gehen. Die Golden Harvest sah gespenstisch aus. Wie ein gestrandeter Wal. Von Hans, Roy und Kris waren nur noch die Spuren im Sand zu sehen. Sie hatten das Schiff einfach liegen lassen, Wie sollte ich das verstehen? Der Schoner war trotz allem mein geliebtes Zuhause. Langsam wurde mir klar, was Kris damit sagen wollte, als er am Nachmittag von »unfriendly take-over« sprach. Er meinte eine Meuterei, eine feindliche Übernahme. Die Zwei hatten das Schiff in Besitz genommen. Ein viel zitierter Satz an Bord der Golden Harvest hieß: Das Schiff gehört denen, die es pflegen! Das Land sollte denen gehören, die es bearbeiten. Den Fleißigen!

Fleiß schien Momos soziale Taktik zu sein. Dadurch, dass er Fleiß an den Tag legte, wenn andere nicht mehr konnten, erwarb er moralische Pluspunkte, die er später bei einer günstigen Gelegenheit rücksichtslos ausspielte. Dann kamen diese unangenehmen Fragen:
»Wer hat dich gepflegt, als du krank warst?«
»Wer hat für dich gekocht?«
»Wer hat dich wieder aufgebaut?«

Am liebsten war Momo auf Hans losgegangen. Da konnte er sich eskalationsfrei abreagieren. Die Ruhe von Hans fehlte nun an Bord. Die Stimmung war schlecht. Der Schoner lag in einem Winkel von 45 Grad auf Backbordseite in der Dunkelheit. Unter Deck roch es nach Teer. Nur nach Teer. Da fehlte das übliche Kaffee- und Kakaoaroma, der versöhnliche Grasgeruch. Es war alles zu viel. Der Hunger, die verdammten Muscheln, die Krebse und der Stress. Die Zwei unterhielten sich leise. Mori hatte sich hingelegt. Ich konnte das alles nicht glauben und schaute rüber zum Strand, aber da standen nur noch die dunklen Schattenrisse der Palmen vor dem violettschwarzen Nachthimmel.