Libreville Teil 6
Nach stundenlanger Fahrt durch den bergigen Regenwald erreichten wir unser Ziel. Claude ließ den Wagen am Rand der Piste stehen und lenkte meine Aufmerksamkeit auf ein großes hölzernes Schild zwischen den Bäumen. Der Hinweis auf eine Siedlung. Die Dörfer selbst konnte man von der Straße aus nicht erkennen, nur diese Schilder, und aus rohen Stämmen gezimmerte Tische, auf denen Handelsgüter lagen, zum Verkauf an die Buschfahrer: Ananas, Bananenstauden und Orangen. Auf der Tafel stand in handgemalten Buchstaben, dass dieses ehrenwerte Dorf vom »Heiligen Laurentius« regiert wurde.

Die Hütten lagen etwa hundert Meter abseits der Piste und waren durch einen geschwungenen, mit Büschen gesäumten Trampelpfad zugänglich. Claude’s Augen leuchteten beim Anblick der hüfthohen Sträucher rechts und links des Weges. Er zupfte ein paar der weißlichen Blüten ab und steckte sie sich in den Mund. Das sei Iboga. Der Legende nach ließ »Zame ye Mebege«, der letzte der erschaffenen Götter, eines Tages den Pygmäen Bitamu beim Früchtepflücken vom Baum stürzen und schnitt dem Leichnam sowohl die kleinen Finger, als auch die kleinen Zehen ab, um sie in den Regenwald zu pflanzen. Daraus entstand der Iboga-Strauch. Die ersten Dächer wurden sichtbar. Freundliche Frauen kamen näher. Sie begrüßten uns lächelnd, mit dicken Küssen mitten auf den Mund.

Der »Heilige Laurentius« war alles in einem: Dorfältester, Häuptling und Medizinmann. Ein Illuminat, ein Erleuchteter, ein heiliger Priester des Bwiti-Kultes. Ein Brückenbauer. Einer, der mit den Ahnen verkehrte. Seine Hütte stand im Zentrum des Dorfes, direkt neben dem Langhaus, wo die Zeremonien und Besprechungen stattfanden. Er wusste, dass ich initiiert werden wollte und musterte mich wohlwollend.

Wir kamen gerade richtig zum Essen. Es gab Schlangenfleisch mit Maniok in Piri-Piri Soße. Der Heilige Laurentius segnete die Speisen. Er war rotviolett gekleidet. Wie ein Märchenkönig. Das ganze Dorf wirkte verzaubert. Über uns wurden die Baumwipfel von einem sanften Wind in Bewegung gehalten. Im Lichterspiel der Blätter lösten sich die Gedanken auf. Zikaden lärmten. Es roch nach Rauch und rotem Pfeffer. Unter den Sträuchern saßen bunte Hühner in schattigen Erdmulden und schauten den Eidechsen beim Fliegenfangen zu.

Nach dem Mahl rauchten wir und schlenderten dann rüber zum Langhaus. Weil ich die Sprache des Medizinmannes nicht verstand, erklärte mir Claude, was mich im Bezug auf Iboga erwartete. Das Zeug würde entsetzlich schmecken. Ich sollte auf keinen Fall kotzen. Das würde die Götter beleidigen.