Lagos Teil 1
Am nächsten Morgen wird die Patria von zwei Schleppern nach Lagos City verholt. Der Blitz ist nicht von Land zurückgekehrt. Am Horizont versinkt Ajegunle im Dunst. Gegen Mittag machen wir an der alten Kaianlage von Apapa fest, dem verrufensten Viertel der Stadt. Ich genieße den Anblick der vielen Stückgutfrachter, die ihre Arme hoch in den Himmel strecken. Ein Hafen wie aus dem Bilderbuch. Auf der breiten Pier tummeln sich Tausende schwarzer Schauerleute. Sie machen einen gehörigen Lärm. Hupende LKW bahnen sich im Schrittempo ihren Weg durch die Massen, und die Krane klingeln sich die Gleise frei.

In Apapa sollen wir Palmnüsse laden, die in Jutesäcken an Bord geschleppt und über den hohen Süll in die Luken geschüttet werden. Unten verteilen andere Gangs die Palmnüsse gleichmäßig in den Laderäumen. Es staubt enorm. Der Transfer ist zeitraubend. Die Gewerkschaft will Arbeitsplätze sichern. Wenn es keinen Streik gibt, können wir in zehn Tagen wieder draußen sein.

Beim Verlassen der Gangway ruft jemand meinen Namen. Mit Schrecken erkenne ich den skandinavischen Akzent. Olaf, ein schwedischer Seemann. Zwei Meter lang und dreißig Jahre alt. Vor ein paar Monaten trafen wir uns in Livorno. Ich erinnere mich an das Straßencafé, wo wir Chianti tranken und politisch soziale Fragen diskutierten. Der Abend endete in Zwietracht. Jetzt steht er da, sagt, dass es ihm leid tut. Sein Frachter liegt ein paar Schiffe achteraus. Der Streit ist vergessen. Wir trinken Chianti in seiner Kajüte. Er gießt die Gläser voll.

Olaf sammelt Fotos von alten Windjammern. Er weiß, wie sehr ich für Segelschiffe schwärme und dass es mein Traum ist, auf einem Frachtensegler zu arbeiten. Sein Schiff verlässt morgen Apapa in Richtung Europa. Zwei Wochen mussten sie Palmnüsse laden. Er sei in der ganzen Zeit im Hafen geblieben, aus Gründen der Vernunft.

»Wenn man es im Leben zu etwas bringen will, muss man die Zähne zusammenbeißen und seine Pflicht tun«, verkündet Olaf. Ich hätte den Ernst des Daseins bislang nicht begriffen. Wo kämen wir hin, wenn jeder tun wollte was ihm gefällt? Das Leben sei nun einmal kein Zuckerschlecken.
»Träume gehören dem Feierabend«, sagt er und setzt die Pfeife unter Feuer. »Ihr Deutschen habt ein treffendes Sprichwort dafür: Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps!«

Das war zuviel! Dass er mich einen Deutschen nennt, bringt mich in Wallung. Ich sage ihm, dass er vielleicht ein viel größerer Deutscher ist, und verlasse wutschnaubend seine Kajüte. Die Leute gehen mir aus dem Weg, bis ich die Patria erreiche.

An der Reling steht Gregor und winkt. Er will mir was erzählen, wenn ich ihm ein Bier ausgebe. Wir machen es uns auf dem Bootsdeck gemütlich und beobachten, wie eine Gruppe schwarzer Schauerleute unseren Müllcontainer plündert. Was sie nicht gebrauchen können, fliegt über Bord, was essbar ist, essen sie auf, den Rest stecken sie ein.

»Nigerianische Müllabfuhr«, sagt Gregor. Er ist seit fünf Jahren Koch auf der Patria und hat schon viel von der Welt gesehen. An Land geht er selten, weil er die Penizillinspritzen der Ärzte fürchtet. Selbst von Vinylia ist er abgekommen, obwohl sie 700 Mark kostete. Maßgeschneidert! Das Aufblasen allein macht ihn fertig, und das Reinigen hinterher. Gleitmittel braucht man auch. Er hat eine genialere Lösung gefunden: Eine Scheibe Leber in ein Longdrinkglas gewickelt, das Ganze auf Körpertemperatur erwärmt:
»Den Rest fressen gerade die Bimbos!«

Gregor zeigt lachend in Richtung Müllkübel. Dann fällt ihm ein, was er eigentlich erzählen wollte: Ein Langhaariger von einem Zweimastschoner sei dagewesen. Er habe versucht, dem Bootsmann Manilahanf-Tauwerk abzuschwatzen. Der Hippie hatte ein Foto dabei. Ein schwarzer Schoner soll es sein. Ein echtes Segelschiff.
»Das wär doch was für dich«, sagt Gregor.
»Die liegen hier ganz in der Nähe.«